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Berlin doesn’t ♥ you – Teil 2

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Die Filmemacherin Nana Rebhan spricht mit dem M29_Blog über ihren Film „Wellcome, Goodbye!“, das Phänomen Tourismus, Gentrifizierung und wie sie der Enthusiasmus der Besucher beflügelt hat.

 

M29: Vor zwei Jahren erzähltest du, dass du immer öfter von Rollkofferklackern und philosophierenden Franzosen, Spaniern und Italienern geweckt wurdest und so das Thema für deinen neuen Film fandest. Hat sich etwas an der Geräuschkulisse vor deiner Haustür verändert?

Die Filmemacherin Nana Rebhan. © Petrov AhnerNana: Nein. Daran hat sich nichts geändert. Mittlerweile schlafe ich jedoch nach hinten raus, zum Hof hin. Das Geplapper und Gemurmel nervt nun nicht mehr.

M29: Du sagtest damals, dass du das Gefühl hast, dass „der Tourismus, die Veränderungen in den Kiezen und Gentrifizierung“ zusammenhängen. Dein Film bleibt nicht beim Massentourismus stehen, sondern beleuchtet auch die Stadtpolitik, die hinter dieser rasanten Entwicklung von Berlin steckt.

Nana: Der Stadtforscher Johannes Novy beobachtet, dass anders als in der Gentrifizierungstheorie, die Touristen in einigen Stadtvierteln nicht nach den Gentrifizierern kommen, sondern zu den Pionieren gehören, also Teil des Prozesses sind und die neuen Orte entdecken. Deswegen haben wir uns entschlossen, auch die Themen Gentrifizierung und Ferienwohnungen nicht vollständig auszuklammern. Aber natürlich geht es zunächst mal um Tourismus. Was die Politik betrifft, könnte der Senat bei negativen Entwicklungen vielleicht gegensteuern, aber bisher ist eine echte Tourismuspolitik nicht zu erkennen. Vielleicht passiert die ja hinter verschlossenen Türen. Dazu passt, dass keiner der für Tourismus zuständigen Senatoren Zeit gefunden hat, mit uns zu sprechen.

M29: Gibt es einen Punkt, an dem der Tourismus für eine Stadt zu viel wird, an dem er der Stadt nicht mehr gut tut?

Nana: Ja, das gibt es. Dieser Punkt ist in manchen Teilen der Stadt, in manchen Kiezen schon erreicht. Etwa in Friedrichshain rund um den Boxhagener Platz. Kleine Geschäfte mit Alltagsbedarf sind weitestgehend verdrängt, das Publikum besteht geschätzt zu 80% aus Touristen. Die Berliner haben einfach keine Lust mehr, hier ihre Zeit zu verbringen. Diese Tendenz lässt sich auch in Teilen von Kreuzberg und Neukölln beobachten.

M29: Burkhard Kieker, der Geschäftsführer von visitBerlin, sagt in deinem Film, Berlin könne noch 20 Jahre gentrifiziert werden, bis man überhaupt etwas davon merken würde. Diesen Kommentar fand ich sehr zweifelhaft. Wird die Lebensrealität vieler Berliner_innen ignoriert?

Nana: Ja. Von Seiten des Senats ist momentan alles auf Wachstum ausgerichtet, das betrifft nicht nur die Tourismuszahlen. Es geht darum, Investoren aus aller Welt anzulocken und dafür wird an einem neuen, schicken Berlin gebastelt. Es wirkt alles wie ein großer Ausverkauf. Die Lebensqualität der Berliner wird oft ignoriert.

M29: Berlin wurde mit Städten wie London oder New York verglichen. Warum scheint es beispielsweise Herrn Kieker erstrebenswert, dass Berlin sich in die gleiche Richtung entwickelt?

Nana: Weil Berlin konkurrenzfähig bleiben soll?

M29: Was denkst du, wäre eine „nachhaltigere“ Tourismusstrategie möglich und wenn ja, warum wird sie nicht verfolgt?

Nana: Schwer zu sagen. Ich denke, die Masse an sich ist ein Problem, so nachhaltig und rücksichtsvoll sich der Einzelne auch bewegt. Es gibt natürlich Konzepte, die Touristen und Berliner ein wenig mehr zusammenbringen. Aber die werden wohl immer nur einen kleinen Teil der Gäste erreichen.

M29: Was hat dich während deiner Arbeit am Film am meisten überrascht?

Nana: Positiv überrascht hat mich der Enthusiasmus, mit dem die Protagonisten und auch viele andere Touristen nach Berlin kommen – ich habe versucht, mir ihren Enthusiasmus anzueignen und mit ihnen und durch ihre Augen meine Stadt wieder neu zu sehen und zu entdecken. Ich habe Berlin mit seinen Ecken und Kanten, seiner Schnauzigkeit und seinem Dreck, seiner Buntheit und seinen Widersprüchen wieder neu lieben gelernt.

Christian (l.) und TamarM29: Dein Film begleitet Christian, der einzelne Touristen kennenlernt und mit ihnen durch die Stadt reist. Diese Szenen sind teilweise sehr amüsant. Dann lernt er Tamar aus Israel und Joris aus den Niederlanden kennen, plötzlich entstehen zarte Verbindungen. Die Besucher nerven nicht, sie bereichern. Dieser Strang erscheint wie ein Gegenentwurf zu einer oft hysterischen Reaktion.

Nana: Tamar und besonders Joris versuchen, die Stadt und ihre Bewohner zu verstehen. Tamar will vielleicht lange hier bleiben, Joris schreibt einen Roman, der in Berlin spielt. Allein durch dieses Interesse, das sie der Stadt entgegenbringen, sind sie ja schon Leute, mit denen sich was entwickeln kann. Es braucht aber auch Berliner, die sich für Menschen von anderswo interessieren.

M29: Am Ende vermietet Christian für 4 Wochen sein Leben an Austin aus den USA. Dieser zieht in Christians Wohnung ein, bekommt Anweisungen, wie die Blumen zu gießen sind und mit der Mutter zu telefonieren sei. Ist das eure Zukunftsvision geblieben oder haben Christian und Austin ihr Vorhaben tatsächlich realisiert?

 Nana: Christian hat das nicht durchgezogen. Wir haben überlegt, wie weit der Kieztourismus, dieses Kennenlernenwollen des echten Berliner Lebens gehen kann. Wir wollten es bis zum Extremen treiben und kamen auf die Idee, dass Touristen ein Berliner Leben für ein paar Wochen mieten könnten.  Man kann ja durchaus Berliner in ihrer Wohnung besuchen  oder sich von einem “normalen” Berliner, also keinem Fremdenführer, ein paar Stunden durch die Stadt führen lassen.  Seit wenigen Monaten existiert die Webseite testmylife.com. Mit ihr ist die Episode um Austin nun schon fast in der Realität angekommen.

M29: Nach dem Berlin-Hype der letzten Jahre hieß es in diesem Frühjahr „Berlin is over“. Ist der Hype tatsächlich vorbei?

Nana: Solange noch überall darüber geschrieben wird, dass der Hype vorbei ist, ist er es nicht.

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Bildnachweis:
Foto Nana Rebhan © Petrov Ahner
Beitragsbild und Filmstill © Nana Rebhan

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